Die Zofen

Seelische Abgründe und der schöne Schein der Wirklichkeit

 

Foto: Monika Barth

Foto: Monika Barth

Ewige Jugend, Schönheit, Reichtum – die „Ideale“ unserer Zeit – Jean Genet beschreibt diese Welt des schönen Scheins in der Person der Gnädigen Frau. Für Solange und Claire, die beiden Hausangestellten, unerreichbare Ziele, denn sie sind die Underdogs, die es braucht, um dieses Gebäude zu stützen.

Wenn ihre Herrin außer Haus ist, leben sie in einem Ritual ihre unterdrückten Gefühle aus. Das Rollenspiel nimmt seinen Lauf und treibt sie mit ihren Hassgefühlen bis an die Gedanken zum Mord. In der Wirklichkeit scheitert dieser Plan. Die Aussicht auf ein besseres Leben, Anerkennung, Perspektive und Orientierung, bleibt ihnen verwehrt. Sie ahnen nicht einmal, daß es nur eine scheinbar heile Welt ist, nach der sie sich gesehnt haben.

Wirklichkeit und virtuelle Welt
Auf der Suche nach Identität und Bedeutung

„Der Mensch wird in die Welt geworfen, in eine Existenz, die seine Rolle bestimmt.“

Welches „Sein“ bestimmt welches „Bewusstsein“?

Das Gefühl der Hilflosigkeit in der Komplizität der heutigen Welt, die Angst in der Anonymität unterzugehen, entlädt sich in Ersatzhandlungen in falschen Idealen und in Wachträumen – die Ersatzexistenz die sich die Zofen im Stück von Genet in ihrem rituellen Rollenspiel schaffen, ist vergleichbar mit der Möglichkeit sich im Internet eine Identität zu verleihen, sich so darzustellen, wie man sich zu sein wünscht, – in der Annahme, damit im Kreis der Besonderen aufgenommen zu sein, einen Platz in der Gesellschaft und damit einen Lebenssinn erhalten zu haben.

Wem hilft es? Und wer nützt es aus?

Für die Zofen scheint es nur eine einzige Möglichkeit zu geben, aus der Anonymität herauszutreten: sie beschwören die „Schönheit des Verbrechens“. Durch ein Verbrechen meinen sie, werden sie  Berühmtheit erlangen. Sie werden zu öffentlichen Personen werden, die einen Namen haben. Aber um welchen Preis!

 

Dem Theaterstück „die Zofen“ von Jean Genet, das zum Repertoire der modernen Klassiker gehört, liegt eine wahre Begebenheit zu Grunde.

In einem bürgerlichen Haushalt in der französischen Provinzstadt Le Mans dienten zwei Schwestern, die über viele Jahre unauffällig und vorbildlich ihren Pflichten nachkamen. Eines Tages töteten sie die Frau des Hauses und deren Tochter. Vor Gericht konnten sie kein Motiv für ihre Tat nennen. Genet entnahm diesem Vorfall den Aspekt der vom Schicksal aneinander geketteten Schwestern und den rituellen Aspekt, nicht die grausame Tat. Er stellt althergebrachte Moralvorstellungen auf den Kopf, die Welt der Ausgrenzten als das verzerrte Spiegelbild der oberen Gesellschaftsschicht.

 

Jean Genet
* 19.12.1910 – † 15.04.1986 – Paris, Frankreich
Genet bekennt sich offen als Homosexueller und Dieb. Er sitzt wiederholte Male als Deserteur, Landstreicher, wegen Bücherdiebstahls und gefälschter Papiere im Gefängnis. Im Gefängnis schreibt er  Gedichte („Der zum Tode Verurteilte“, „Die Galeere“) und Romane (Notre Dame de Fleurs, Wunder der Rose,  Querelle -später von Faßbinder verfilmt-, Tagebuch eines Diebes u.a.) Seine Romane bewegen sich im Prostituierten,- Homosexuellen- und Transvestiten-Milieu, er wird deswegen der Pornografie in seinen Werken bezichtigt. Schon zu Lebzeiten ist er eine skandalumwitterte Legende. Jean Cocteau entdeckt sein Talent und regt ihn an, für die Bühne zu schreiben: das erste Stück das aufgeführt wird sind „Die Zofen“. Weitere Stücke: Der Balkon, Unter Aufsicht, Die Neger, Die Wände, u.a.
Als ihm eine lebenslängliche Haftstrafe droht, setzen sich Jean Paul Sartre, Jean Cocteau, Jean Marais und andere Schriftsteller für ihn ein.  

„In der moralischen Entrüstung schwingt auch immer Besorgnis mit, vielleicht etwas versäumt zu haben.“

„Es gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der nicht im großen oder kleinen Maßstab eine Legende werden möchte.“ (Jean Genet) 

Freundes und Bekanntenkreis: Pablo Picasso, Giacometti, Andre Gide, Marguerite Duras, Jaques Derrida, Antonin Artaud, Francois Mitterand…
In späteren Jahren setzt er sich für die Rechte der Schwarzen in Amerika ein, in Frankreich für bessere Bedingungen von Gastarbeitern und engagiert sich in der Palästinenserfrage.
 

„Er mag zwar ein Krimineller gewesen sein, aber ein hochliterarischer.“ (Edmund White)